Agnes Buder

Eine Volksdichterin aus Lohsa

Am 1. Dezember 1937 starb in Lohsa eine 77jährige Frau, die damals weit über die Grenzen ihrer Gemeinde hinaus bekannt war, an die sich aber auch heute noch viele ältere Menschen in Lohsa und in den umliegenden Dörfern erinnern: Agnes Buder. Sie war die Tochter eines Landwirts aus Mortka, sie war Dienstmädchen, Köchin, Ehefrau eines Eisenbahners, Landwirtin, Hausfrau und Mutter von fünf Kindern, aktives Mitglied des sorbischen Vereins „Handrij Zejler“ in Lohsa — und sie war eine Volksdichterin. Ohne je eine andere Schule besucht zu haben als die Lohsaer Dorfschule, veröffentlichte sie in den Jahren 1879 bis 1937 158 Gedichte, eine Prosaarbeit und eine Szene. Die meisten dieser Gedichte finden wir in der sorbischen Zeitung „Serbske nowiny“. Wie viele Gedichte sie insgesamt geschrieben hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, zumal einiges von ihrem Nachlass verloren ging, als in den letzten Tagen des Krieges das Haus ihrer Tochter abbrannte. Zusammen mit den 158 veröffentlichten Gedichten, 13 unveröffentlichten Handschriften und einem mündlich überlieferten Gedicht sind 172 Gedichte von Agnes Buder erhalten, 170 davon in ihrer sorbischen Muttersprache, unterzeichnet fast immer mit „H. Budarka“.
Die Mehrzahl dieser Gedichte (118) sind so genannte „Gelegenheitsgedichte“, man könnte sie auch Auftragsgedichte nennen: zu Tod und Todestagen (78), Hochzeiten und Geburtstagen (20); dazu kommen die Danksagungen (5) und Berichte über besondere Ereignisse (15). Das sind vielstrophige Gedichte, immer mit den Namen der betreffenden Familien oder Personen versehen. In den berichtenden Gedichten geht es um Feuer in Lohsa und Umgebung, (1880, 1905; 1931), um den vierfachen Mord in Ratzen 1929, um das Jubiläum der Lohsaer Kirche 1928, um den Mord an der siebenjährigen Madlena Paschke (1929) und andere Ereignisse in der Gemeinde. Damit hat Agnes Buder so etwas wie eine „Dorfchronik in Versen“ verfasst. In vielen Gedichten bringt Agnes Buder die Liebe zu ihrem sorbischen Volk und die Sorge um sein Weiterleben zum Ausdruck, zum Beispiel im „Prolog für den sorbischen Abend in Hoyerswerda (1929)“ und in mehreren anderen „Prologen“ für sorbische Vereinsfeste in Lohsa.
In ihrer Jugendzeit verfasste sie viele lustige Gedichte und Lieder, die in der Spinte gesungen wurden; später schrieb sie einige lyrische Gedichte von beeindruckender Dichte und Tiefe, aus denen die aufrichtige Frömmigkeit einer einfachen Frau spricht. „Zernička“ – „Abendstern“ ist sicherlich eins ihrer schönsten Gedichte.
In mehreren Gedichten bringt sie ihre Liebe und Verehrung für den Lohsaer Pfarrer und Dichter Handrij Zejler zum Ausdruck. In ihrem handschriftlich erhaltenen Lebenslauf lesen wir:
„Ich kannte Pfarrer Handrij Zejler gut und habe zu seinem Geburtstag früh am Morgen mit anderen Kindern vor dem Fenster seines Schlafzimmers mitgesungen: 'Erwache aus dem Schlafe, liebe Seele, vergesse Weh und Traurigkeit.' Sein liebes und freundliches Antlitz steht mir noch heute vor Augen. Er besuchte uns oft in der Schule und freute sich, wenn wir seine schönen Lieder vortrugen. Am Tage seiner Beisetzung habe ich ihn als zwölfjährige Schülerin mit anderen Kindern bis zum Grabe begleitet.“
Handrij Zejler hat auf das fröhliche, intelligente und musikalische Kind einen prägenden Einfluss ausgeübt. Schon damals kannte sie alle seine Lieder auswendig. Und sicher ist es vor allem diesem Einfluss zu verdanken, dass die Fünfzehnjährige 1876 ihr erstes Gedicht verfasste, um dann bis zum Ende ihres Lebens mit dem Schreiben nicht mehr aufzuhören.